Food Safety first – wenn selbst Reinigen zwecklos ist

Der 3. Hygienic Design Day war wieder eine runde Sache, nicht nur wegen konstruktiv gerundeter Ecken, die sich bekanntlich besser reinigen lassen – oder auch nicht, wie sich dann herausgestellt hat. Doch es ging nicht nur um die Hardware des Designs. Diesmal stand auch die Software im Focus des Interesses der rund 100 Gäste, die am 4. Juli nach Bruchsal zu SEW-Eurodrive kamen, um dieses Branchenevent zu erleben.

„Das Angebot war sehr ergiebig: Die Themen waren gut ausgewählt, interessant, und sie wurden vor allem von hervorragenden Referenten vertreten“, formuliert ein Besucher. „Hier kommt jeder auf seine Kosten, der Anwender, der Maschinenbauer, die OEM und Komponentenpartner aus den verschiedenen Sparten der Automatisierung und Antriebstechnik“, das hat Peter Schäfer, Chefredakteur der [me] und Veranstalter des Hygienic Design Days, bei der Begrüßung der Gäste versprochen. Die Referenten und die Aussteller der angeschlossenen Microfair haben dieses Versprechen eingelöst. Die vielen Leckerbissen aus dem Maschinenbau, die praktischen Beispiele aus der Anwendung sowie die speziell auf Hygienic Design ausgerichteten Systeme und Lösungen, ließen keinen Wunsch offen. Wie Software und Mechatronik beim Hygienic Design zum Zuge kommen, das war der Dreh- und Angelpunkt der Diskussion um den Stand neuer Entwicklungen, die vor allem für Food-Produzenten und Getränkeabfüller das A und O der Produktion und Verpackung sind. „Food Safety first“ wurde fast in jedem Vortrag angesprochen und je nach Schwerpunkt und Betrachtungsweise des Anwenders, des Maschinenbauers oder Komponentenherstellers interpretiert – manchmal recht unterschiedlich. „Ein Haus hat viele Fenster, aus denen man etwas anderes sieht“, beschreibt Schäfer diese Vielfalt.

Damit der Bierkrug nicht mehr überschwappt
Der Einstieg mit dem Thema „Software trifft Hygienic Design“ traf deshalb den Nagel auf den Kopf. Christian Hornung von SEW-Eurodrive hat mit seinen Beispielen auf den Punkt gebracht, welche Verbesserungen durch ausgeklügelte Antriebstechnik mit modularen Softwarekits in der Anwendung möglich sind – und das mit vielen lebendigen Beispielen. Wer mehrere Krüge im Biergarten transportiert, muss mit der Gefahr des Überschwappens zurechtkommen – vorausgesetzt der Wirt hat richtig eingeschenkt. In die Hygienic-Anwendung übersetzt heißt das: Wenn Flüssigkeiten mit linearen Bewegungsprofilen im taktenden Betrieb in offenen Behältern transportiert werden, besteht die Gefahr des Überschwappens (Sloshing). Hier schafft Software Abhilfe: „Das Movikit Addon AntiSlosh unterbindet das und erstellt optimale Bewegungsprofile anhand intelligenter Abstimmung auf die physikalischen Eigenschaften der Flüssigkeit. So werden vor allem auch Verschmutzungen verhindert“, erklärt Christian Hornung. Wie smarte Bewegungsprofile auch Roboter für Hygienic Design Anwendungen fit machen, war im Foyer auf der Microfair zu sehen. Dort stellte ein Delta-Roboter mit dem Maxolution-Parallelarm-Kinematik-Kit seine Lizenz zum Hygienic Design unter Beweis. Software kann im Hygienic Design einiges ausrichten, das haben auch die anderen Referate auf dem 3. Hygienic Design Day verdeutlicht.

„Der Schmutz wird nur verdünnt“
Was sind typische Fehler in der hygienischen Auslegung der Anlagen, die aufs Konto von Maschinenbauern, ihrer Lieferanten oder auf das der Anwender in den Molkereien gehen? Dazu hat Martin Barnickel, Fachlehrer am LVFZ Kempten, das staunende Publikum mit sehr markanten Anmerkungen aus der täglichen Praxis konfrontiert: „Desinfektion und Reinigung sind eigentlich Unsinn, der Schmutz wird nur verdünnt.“ Belegt hat er diese These mit vielen Bildern und Beispielen aus der Praxis. Die Fehlerquellen lagen dabei in Undichtigkeiten, Toträumen oder Verschleiß. Vieles ließe sich vermeiden, aber die Realität sieht leider anders aus, stellt Barnickel fest und gibt ein Beispiel: „In keiner Anlage muss es Druckschläge geben. Diese sind vielmehr Konstruktionsfehler oder einer dilettantischen Programmierung geschuldet.“ Aber immerhin richte sorgfältiges Reinigen, bei dem Anlagenteile auch geschrubbt werden müssten, einiges aus, beruhigt er die Besucher des Hygienic Design Events in Bruchsal. Und es tut sich auch einiges in Sachen Food-Safety: Künftig erwarte die Milchwirtschaft Sterilisationsgarantien von ihren Zulieferern. Ein hygienisches Design ist dafür die Voraussetzung, auch wenn man sich darüber im Klaren sein muss, dass jede Reinigung im Prinzip nur eine Verdünnung von Verschmutzungen ist, ein restloses Entfernen ist nicht möglich. Allerdings minimiert Hygienic Design das Verderb-Risiko und verursacht nur 8 Prozent Mehrkosten. Entscheidend sei, so Barnickel, die geeigneten (zertifizierten) Komponenten zu wählen, sie korrekt zusammenzubauen und die Steuerung richtig zu programmieren. Auch auf den Zeitpunkt kommt es an: „Die Planungsphase der Anlagen ist in jedem Projekt der letzte Zeitpunkt, an dem sich hygienisches Anlagendesign implementieren lässt.“
Die Schokowaffel durch die Anlage transportieren

Lösungen für Komponenten und Systeme, die zu mehr Lebensmittelsicherheit beitragen, hat Michael Heid von Schaeffler Technologies vorgestellt. Lebensmittel und Verpackung ist heute der zweitgrößte Sektor von Schaeffler Industrial Automation. „Die Fokussierung auf Food Safety sowie die Nachfrage der Verbraucher nach höherer Qualität und Nachhaltigkeit fordert besondere Lösungen aus der Lager- und Lineartechnik“, betont Heid. „Schließlich gehören diese Antriebs- und Automatisierungsbestandteile zu jeder Anlage in der Lebensmittelproduktion und -verpackung. Neue Dichtungskonzepte und -geometrien, hygienegerechte Beschichtungen und lebensmittelechte Festkörperschmierstoffe zählen ebenso wie smarte Linearführungen und Predictive-Maintenance -Konzepte zum Repertoire von Schaeffler, das Michael Heid mit vielen Anwendungsbeispielen auf dem Event präsentiert hat. Eins davon war ein Schoko-Waffeltransportsystem, das auf alle produktions- und verpackungstechnischen Herausforderungen ausgerichtet ist. Besonderes Merkmal der dortigen Lagerlösungen waren zum Beispiel die branchenspezifischen Sondermaterialien. „Wir haben dafür besondere Lager der FoodlineRIBB/DGBB entwickelt“, erläutert Heid. „Die Lager sind aus korrosionsbeständigem Stahl gefertigt, haben weiße Kunststoffgehäuse nach FDA, besitzen die Lebensmittelfett mit H1-Freigabe und eignen sich für Betriebstemperaturen zwischen -20°C …100°C beim RIBB bzw. -30°C …110°C beim DGBB.“ Auch auf einbaufertigen Systemlösungen hat sich Schaeffler als Ausrüster der Lebensmittelbranche eingerichtet. Als weiteres Anwendungsbeispiel hat Michael Heid Rundachsen für Behälterbedruckung bei Krones vorgestellt: „Zu dieser Lösung für die Getränkeabfüllung gehören unter anderem Torquemotoren, Kreuzrollen-Drehverbindungen sowie integrierte Direkt-Encoder.“ Dass all das – egal ob Kugelumlaufeinheit oder einbaufertiges Achssystem für die Getränkeabfüllung – vor allem in lebensmitteltechnischen Anlagen nicht ohne Zustandsüberwachung über Sensoren, Elektronik und Software auskommt, hat Michael Heid deutlich vertreten.

Wie kommt die Sardine in die Dose?
„Vom Meer in die Dose“, so lässt sich das Schicksal der Ölsardine kurzfassen. Peter Lange und Arndt Neues haben in ihrem Referat beschrieben, wie der Fisch in die Dose kommt – und zwar, wie in einer Roboterlinie frische Fischfilets in Dosen zu kommissioniert werden. Große Herausforderung war neben dem absoluten Hygienegebot die Aufgabe, jede Dose mit einem bestimmten Gewicht zu befüllen. Eine Waage hilft bei der Geschwindigkeit bei der Befüllung nur wenig. Das funktioniert nur mit mechatronischer Technik und einem Einsatz ausgeklügelter Algorithmen.
„Um das Gewicht der Fischfilets zu ermitteln, haben wir eine Farbkamera mit der Bildverarbeitung ACESight eingesetzt. Sobald die Oberfläche des erkannten Fischfilets näher analysiert ist, lässt sich das Gewicht über Algorithmen bestimmen“, erklärt Peter Lange. Fett oder Fleisch? Das ist dabei die Frage. Denn Fischfett ist bekanntlich leichter als das Fischfleisch. „Da das Gewicht des Fisches direkt mit dem Fettanteil zusammenhängt, haben wir ein Kalibriersystem für die Anpassung der Algorithmen an die jeweiligen Fett- und Fleischanteile entwickelt“, erläutert Arndt Neues.
Bei den sechs hintereinander arbeitenden Robotern Omron Quattro 650HS kommt es auch darauf an, welcher Roboter welchen Fisch in einem bestimmten Ablageslot abzulegen hat. Die Zuordnung war dann die Aufgabe einer „Custom Allocation” in der ACE Packxpert Software. Über das von der Bildverarbeitung ermittelte Gewicht der Fische war es dann von vornherein bestimmt, welcher Roboter welchen Fisch greift und in welchen Slot ablegt. Makrelen und Sardinenfilets werden in dieser Linie heute mit den Robotern im Hygienic Design sicher und zuverlässig in die Fischdosen gefüllt. „Roboter erobern immer weitere Anwendungen, die unter dem Siegel des Hygienic Designs stattfinden“, ist Arndt Neues überzeugt.
Drei Keynotes des 3. Hygienic Design Days
In der Fortsetzung zum 3. Hygienic Design Day kommen die drei Keynote-Speaker zu Wort: Martin Doebler von Krones berichtet, wie biologische Hot Spots in Abfüllanlagen vermieden werden, Dr. Thomas Cord von LoeschPack spricht über das Verpacken von Schokolade als eine mechatronische Aufgabenstellung, und Dr. Hans Egermeier von lean digital transfomation gibt ein Update über Software Hygiene und beantwortet die beiden Fragen wie Software eigentlich entsteht und wie sauber sie ist.

Mehr zu diesem Event lesen Sie auf www.hygienic-design-day.de und in der kommenden Ausgabe der [me], die Anfang September erscheint.


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